"Die Welle der Hilfsbereitschaft, die den Geflüchteten aus der Ukraine entgegen schwappt, ist herzerwärmend und zeigt, was freiwilliges Engagement und das Zusammenspiel von Haupt- und Ehrenamt in Kommunen und Verbänden leisten kann", sagt Annette von Pogrell, stellvertretende Caritasdirektorin im Bistum Hildesheim. "Aber das wird ein Langstreckenlauf und kein Sprint. Daher müssen wir aufpassen, dass niemand, der in Not ist, vergessen wird, weil alle Augen auf das Kriegsdrama gerichtet sind." Gerade in den Bereichen Kinderbetreuung, Wohnraum und Hilfe für Flüchtlinge sieht von Pogrell Probleme.
Personalprobleme in Kitas verschärfen sich
"Es ist wunderbar, dass viele Mütter mit ihren Kindern hier im Bistum Zuflucht gefunden haben. Doch in den Kitas verschärfen sich die Personalprobleme. Dass Kultusminister Tonne bis Ende Juli die Qualitäts- und Raumstandards in den Kitas aussetzen will, verstärkt den Druck auf die Corona-geschwächten Mitarbeiterinnen. Das ist keine tragfähige Lösung - nicht alle Familien werden in diesem Jahr in die Ukraine zurückkehren können. Sie werden bleiben und da brauchen wir kreativere Ideen, die den Mitarbeiterinnen, den bisher betreuten und den neuen Kindern gerecht werden. Sonst springen uns noch mehr Kräfte ab, obwohl wir viel mehr neue bräuchten."
Wohnungsproblem kann nicht allein durch Neubauten gelöst werden
Billiger Wohnraum war schon vor dem Ukraine-Krieg knapp. Schon jetzt empfindet jeder zweite Mensch in Niedersachsen die hohen Mietkosten als drängendes Problem in der Region. Viele leerstehende Immobilien werden jetzt für die Unterbringung der Flüchtlinge geöffnet. "Jeden Tag werden in Deutschland 80 Hektar Land bebaut. Wir können das Wohnungsproblem nicht allein durch Neubauten lösen. Daher ist die jetzt laufende Nachnutzung leerstehender Gebäude ein sehr wichtiges Instrument. Diese muss von der Landesregierung noch besser systematisch gefördert werden."
Der besondere Status der Ukraine-Flüchtlinge unter der EU-Massenzustrom-Richtlinie bietet den Geflohenen Vergünstigungen wie eine Arbeitserlaubnis, den schnellen Zugang zu Sozialleistungen bis hin zu kostenlosem ÖPNV. "Das ist für die Integration sehr hilfreich. Doch es besteht das Risiko, dass Menschen, die vor Jahren vor den Bomben in Syrien, im Irak oder in Afghanistan geflohen sind, sich benachteiligt fühlen könnten."
Hilfsmaßnahmen für ukrainische Flüchtlinge nicht isoliert betrachten
Der Krieg in der Ukraine ist eine ungeheure gesellschaftliche Herausforderung. Annette von Pogrell rät dazu, die Hilfsmaßnahmen für die Ukraine-Flüchtlinge jedoch nicht so isoliert zu sehen, dass bestehende Problem plötzlich unsichtbar werden. Sonst wird die Welle der Solidarität schneller verebben als gedacht.