Im Namen der Caritas hat sich Achim Eng, Vorstand des Caritasverbandes für die Diözese Hildesheim, für das Leid der sogenannten Verschickungskinder in Kinderkuren ab 1946 auf Langeoog entschuldigt. "Statt Fürsorge und Verständnis haben viele der Kinder rüde Behandlung und Herzlosigkeit bis hin zu schwarzer Pädagogik erfahren." Er könne den Betroffenen nicht die Last der Erinnerung nehmen, sondern nur um Verzeihung für das Geschehene bitten, heißt es in einer Erklärung, die heute einer Gruppe ehemaliger Verschickungskinder auf Langeoog überreicht wurde.
Viele klagen über Behandlung während der Kinderkuren
Bis in die 1980er Jahre wurden mehr als acht Millionen Kinder im Alter zwischen zwei und vierzehn Jahren meist auf ärztlichen Rat und öffentlich bezuschusst auf sogenannte Kinderkuren geschickt. Die Kuren wurden u.a. wegen Untergewicht, Atemwegsproblemen oder schlechten sozialen Verhältnissen verordnet. Viele der Kinder litten in den meist sechswöchigen Kuren unter militärischer Disziplin, Essenszwang oder öffentlicher Bloßstellung etwa nach Einnässen. Auf Langeoog wurden die Heime seit 1946 vom Hilfswerk der freien Wohlfahrtsverbände Hannover e. V. betrieben. Zum Hilfswerk gehörten AWO, Rotes Kreuz, Diakonie und Caritas.
Heute hohe pädagogische Standards in der Mutter-Kind-Klinik
Am Standort der ehemaligen Verschickungsheime befindet sich seit den achtziger Jahren die Caritas Mutter-Kind-Klinik, die den Standards des Müttergenesungswerks entspricht. Hier gelten die Regeln moderner, kindgerechter Pädagogik. Es gibt individuelle Betreuung der Mütter gemeinsam mit ihren Kindern, Förderung von Kreativität und Gesundheit, Erlebnispädagogik und Hilfe zur Bewältigung von Alltagsproblemen.
Als Träger der Mutter-Kind-Klinik auf Langeoog arbeitet der Caritasverband im Bistum Hildesheim im bundesweiten Themennetzwerk Kinderverschickung mit. Unter anderem geht es um die Unterstützung eines Forschungsprojekts der Deutschen Rentenversicherung zur Geschichte der "Kindererholungskuren" von 1945 bis 1989. Die Aufarbeitung der Verhältnisse in den Kurheimen und die Aufdeckung von Missständen ist eine wesentliche Forderung der Betroffenen-Initiativen, die sich seit 2019 mit dem Thema befassen und heute auf Langeoog eine entsprechende Erklärung überreichten. Die Reise zur Insel war von der Hamburger Journalistin Marina Friedt organisiert worden. Sie war dort 1975 im Haus Sonnenschein. Unter dem Titel "Das Essen ist aus Schlamm gemacht…" verarbeitete sie ihre Erlebnisse für das Magazin Chrismon. Heute sagt sie: "Es geht nicht um Nazi-Erzieher oder Todesfälle, sondern um die vielen alltäglichen Grausamkeiten."
Aufarbeitung als Anliegen der Betroffenen
Zur Caritas Mutter-Kind-Klinik Langeoog gehören das Haus Sonnenschein, das Dünenheim (vom DRK übernommen) und das Flinthörnhaus (von der Diakonie übernommen). Zur heutigen AWO-LangeoogKlinik gehörte bis 1999 das Haus Möwennest.
Wortlaut der Entschuldigung:
Sehr geehrte Damen und Herren,
als Caritasdirektor stehe ich dem Caritasverband für die Diözese Hildesheim vor. Zu unserem Verband gehören die Mutter-Kind-Kliniken auf Langeoog, auf Wangerooge und in Braunlage. Nach dem Zweiten Weltkrieg war die Caritas Mitglied im Hilfswerk der freien Wohlfahrtspflege Hannover, das auf Langeoog von 1946 bis 1975 vier Kurheime betrieb, in denen zum Teil schlimme Zustände herrschten.
Ich möchte mich im Namen der Caritas für das entschuldigen, was Ihnen in solchen Kuren als Kinder widerfahren ist. Statt Fürsorge und Verständnis, rüde Behandlung und Herzlosigkeit bis hin zu schwarzer Pädagogik. Sie gehören zu denjenigen, die die traumatischen Erlebnisse aus ihrem Leben nicht auslöschen können. Ich kann Ihnen die Last der Erinnerung leider nicht abnehmen, sondern kann nur mein Bedauern zum Ausdruck bringen und um Verzeihung für das Geschehene bitten.
Ich kann nicht beurteilen, ob das als Trost taugt: aber in den heutigen Mutter-Kind-Kliniken wird auf das Wert gelegt, was Sie bei Ihren Aufenthalten so schmerzlich vermisst haben: kindgerechte Betreuung, die auf die individuelle Lebenssituation eingeht, pädagogisches und medizinisches Fachpersonal und die Sicherheit, nicht alleine gelassen zu werden, sondern die Zeit in der Klinik gemeinsam mit einem Elternteil verbringen zu können.
Wir als Caritasverband beteiligen uns an der Aufarbeitung der Geschichte im Caritas-weiten Themennetzwerk Kinderverschickung in der Hoffnung, dass der offene Umgang mit der eigenen Geschichte eine Wiederholung unmöglich macht.
Hochachtungsvoll
Achim Eng
Diözesan-Caritasdirektor