Hildesheim/Langeoog, 09.12.2024. "Gummistiefel", "Kakao" - solche Einwort-Sätze hört Alexandra Damwerth in der Caritas-Mutter-Kind-Klinik auf Langeoog nicht selten - von Eltern und von Kindern. Kleine Anzeichen für einen Trend: Immer mehr Kinder weisen Sprachentwicklungsstörungen an. So stellt die Studie einer Krankenkasse bei Kindern in Hessen eine Verdoppelung der Fälle von knapp sieben Prozent im Jahr 2005 auf über zwölf Prozent 2023 fest.
"Wenn Kinder sich nicht ausreichend ausdrücken können, so können auch ihre seelischen Bedürfnisse auf der Strecke bleiben. Sie fühlen sich dann nicht verstanden und gehört", sagt Alexandra Damwerth. "Das kann auch in Wut und Gewalt enden." Als Familientherapeutin begleitet sie Mütter und ihre Kinder während der dreiwöchigen Kur in der Caritas-Klinik auf der ostfriesischen Insel. Viele der Jungen und Mädchen sind schon in logopädischer Behandlung. "Kinder lernen Sprechen durch Nachahmen, sie bilden so ihren Wortschatz und lernen, welche Mimik welche Gefühle ausdrückt."
So mache es einen Unterschied, ob Kinder Geschichten und Lieder über digitale Medien hörten oder ihnen von einem Menschen vorgelesen oder vorgesungen werde. Es mache einen Unterschied, ob sie Fragen stellen und Ängste ausdrücken könnten. "Manche der sehr unruhigen Kinder können sich beim Vorlesen total entspannen. Sehr viele Kinder genießen es außerordentlich, wenn sie hier auf der Insel mit ihren Müttern basteln oder singen".
Butterbrotbeutel mit Schimpfwörtern
Um die Sprachentwicklung zu fördern, brauche es grundsätzlich das richtige Maß. "Zu wenig miteinander zu sprechen, ist genauso schlecht wie das ‚Zutexten‘ nur mit Anweisungen oder Kritik." Alexandra Damwerth schlägt dann Ich-Botschaften vor ("Ich würde mich freuen, wenn Du…."). Dem Kind sollte eine Reaktion auf das Gesagte erlaubt werden. "Und für schlechte Tage: den Butterbrotbeutel. Alle Schimpfwörter und allen Ärger hineinbrüllen, den Beutel aufblasen und platzen lassen", sagt sie. In der Klinik auf Langeoog gibt es kein W-Lan. Das macht es Kindern und Mütter etwas leichter, wieder andere Beschäftigungen zu entdecken. Zuviel Zeit an digitalen Geräten kann die Sprechentwicklung hemmen.
Zurück aus der Kur ist es für Mütter und Kinder oft nicht leicht, die Tipps und Anregungen in den Alltag zu übernehmen. Digitale Zeit sollte dann gemeinsam geplant werden. Die Einbindung in normale Aufgaben kann helfen, etwa gemeinsam den Einkaufszettel zu schreiben und dann mit dem Kind die benötigten Dinge einzusammeln. "Mein schönster Erfolg ist immer, wenn mir Mütter sagen: ‚Ich habe das ausprobiert, was Sie mir geraten haben und es hat funktioniert", sagt die Erziehungsexpertin.
Und vielleicht bietet gerade die Adventszeit ein paar Momente, das Smartphone beiseitezulegen, um mit den Kindern einmal wieder ein bisschen zu basteln oder zu singen.