Einfach mal rauskommen - aus Charkiw, dem Studierendenalltag, der Arbeit im Café. Als Anastasiia Soloviova am 21. Februar 2022 nach Hannover reist, um einen Freund zu besuchen, ahnt sie noch nicht, was auf sie zukommen wird. Seit Monaten wird zwar über einen Angriff Russlands auf ihr Heimatland Ukraine spekuliert, aber so richtig glaubt die damals 20-Jährige nicht an die Gerüchte. Erst, als sie am Morgen des 24. Februars den Fernseher einschaltet, sickert langsam zu ihr durch, was sich monatelang angebahnt hat: Krieg in Europa.
"Es war ein Schock für mich”, erinnert sich Anastasiia Soloviova heute mit einem Kloß im Hals. Sie habe direkt ihre Familie, Freundinnen und Freunde in der Ukraine angerufen. Jetzt musste es schnell gehen. Anastasiias Mutter und Oma packten die wichtigsten Sachen zusammen und reisten in überfüllten Zügen mitsamt dem Familienhund über die Slowakei an die Grenze. Anastasiia fuhr ihnen gemeinsam mit ihrem deutschen Freund in dessen Zweitürer entgegen und sammelte sie ein. "Es war viel zu eng, wir waren ewig unterwegs”, erzählt sie kopfschüttelnd. Anastasiias Vater blieb in der Ukraine. Er wollte sich dem Militär anschließen, um sein Heimatland zu verteidigen. "Damals dachten wir, in zwei bis drei Wochen ist alles wieder vorbei”, sagt die Ukrainerin. Mittlerweile hat sich der Kriegsbeginn zum dritten Mal gejährt, ihr Vater ist noch immer an der Front. Seit November 2024 ist der Kontakt zu ihm abgebrochen. "Es ist schwer, aber wir warten”, sagt die 23-Jährige tapfer.
FSJ beim Caritas-Migrationsdienst: "Etwas Menschliches"
Anastasiia, ihre Mutter, ihre Oma und der Labrador kamen zunächst bei ihrem Freund in Hannover unter. Heute leben sie in Peine, wo Anastasiia ein Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ) beim Caritasverband Peine absolviert. Als FSJlerin sitzt sie an der Anmeldung des Migrationsdienstes und ist damit das erste Gesicht, das Hilfesuchende dort zu sehen bekommen. "Ich frage sie dann, was passiert ist und wie ich ihnen helfen kann. Mache Termine für sie oder gebe eine Mini-Beratung", erklärt die Ukrainerin. Der Migrationsdienst des Caritasverbandes in Peine ist offen für alle ratsuchenden zugewanderten Menschen unabhängig von ihrem Aufenthaltsstatus. "Was mir daran gefällt? Es ist etwas Menschliches.”
Im Sommer 2025 ist Anastasiias Freiwilligendienst vorbei. Danach würde sie gern eine Ausbildung in Peine machen, einen Platz zu finden sei allerdings schwer: "Ich möchte nicht nur irgendwas arbeiten und Geld verdienen. Ich brauche eine Perspektive”. Denn in die Ukraine wird sie vorerst nicht zurückkehren, ist sich Anastasiia sicher. Auch, wenn der Krieg beendet ist, ihr Zuhause gibt es nicht mehr - weder ihr Elternhaus noch ihre Mietwohnung. "Vor dem Krieg habe ich studiert, ich stand ein Semester vor dem Bachelor. Ich habe sogar überlegt, mir demnächst eine Wohnung zu kaufen. Heute ist alles anders”, sagt Anastasiia. Aber sie weiß: "Egal, wie schwer es jetzt ist, wir werden diese Phase überstehen - so wie immer in unserer Geschichte.”