Menschen ohne Papiere - Maulwurf mit Krankenversicherungskarte
Charlotte ist ausgerüstet wie für eine Regenwald- Expedition. Stimmt ja auch: Es regnet, und das am ersten Tag der Waldwoche des Kindergartens. "Ruf an, wenn das Wasser ein Deinen Gummistiefeln steht, Süße", ruft ihre Mama noch.
Es ist der Tag, an dem ich morgens die Heizung angestellt habe. Und es ist der Tag, an dem Christiane Kemper von der Caritas in Hannover von Menschen ohne Papiere erzählt. Illegale, von denen 10.000 in Hannover leben, manche vermuten 15.000 Menschen, denen auch die Caritas geholfen hat. Kemper erzählt mir den härtesten Fall: eine Familie lebte 18 Monate im Wald, mit Kind und Kegel, bis der Vater abgeschoben wurde.
Szenenwechsel: Ferien 1978 mit den Pfadfindern. Der Gruppenleiter sagt: " Wir fahren gleich über die Grenze in die Schweiz. Ohne Pass geht das nicht. Bitte sagt mir, wenn Ihr ihn vergessen habt." Ich hatte ihn vergessen, meldete mich aber trotzdem nicht. Die Einreise ging glatt, wir wurden durchgewunken. Aber die Angst vor der Kontrolle auf der Rückreise verdarb mir den ganzen Tag. Es war schrecklich.
Hussein (42), der seinen richtigen Namen nicht nennen will, hat sich längst daran gewöhnt, ohne Papiere zu leben. Er lebt und arbeitet seit 12 Jahren illegal in Hannover. Putzjobs etwa bringen gutes Geld. Nur ein Ort ist dem zuwider: wenn der Kunde die öffentliche Polizeiwache ist. Seine anderen Kunden beauftragen ihn mit Gärtner- oder Hausmeisterarbeiten. Da verdient er dann bis zu 10 Euro pro Stunde.
Einen Maulwurf, den er beim Umgraben verletzte, musste er zum Tierarzt bringen. "Das arme Tierchen war besser krankenversichert als ich", sagt er.
Was tun verletzte illegale Menschen? Wer in der "Malteser Migranten Medizin" in Hannover sitzt, Sprechstunde Dienstag von 10 bis 12 Uhr, muss keine Papiere haben. "Dann sind Sie eben Akte 42", sagt Projektleiter Gerd Rauchfuß. Heute, 9:30 Uhr, ist das Wartezimmer gestopft voll. Alle sieben Stühle sind besetzt. Zwei Männer und eine Schwangere müssen stehen. "40% bei uns sind Menschen ohne Papiere", sagt Rauchfuß. Menschen ohne Wohnung, Heizung, ohne Zugang zu Bildung oder Schutz vor Ausbeutung. Illegale ohne Sprachkenntnisse verdienen in Hannover zwei Euro die Stunde als Tellerwäscher.
"Bundesweit muss gesetzlich geregelt werden, dass humanitäres Handeln im Bereich Illegalität straffrei gestellt wird", fordert Hedwig Mehring, Referentin für Migration beim Caritasverband für die Diözese Hildesheim (DiCV). In Hannover garantieren dies Staatsanwaltschaft und Oberbürgermeister in der "Migranten Medizin".
Am folgenden Tag fahre ich wieder Kinder in den Wald. Unser Sohn Ruben (4) spielte trotz Regen mit Charlotte Räuber. Was macht ein bisschen Wasser in den Gummistiefeln, wenn man ein warmes Zuhause hat?
Text: Heribert Schlensok
MEHR INFORMATION:
Malteser Migranten Medizin Hannover
Leibnizufer 13-15
Telefon 0511 169-5430 oder 0511 169-5431
Sprechstunde: Dienstag Vormittag
Schirmherr ist der Bischof von Hildesheim, Norbert Trelle